Wien, um 1810
- signiert
- „Geul et Wigand f(ecerunt), Wien“
- Material
- Eichenholzkorpus, Mahagoni furniert, lineare Obstholzintarsie, zweifach aufklappbares Salonmöbel auf geschweiftem Unterbau, verwendbar als Poudreuse mit Spiegel oder als Sekretär mit lederbespanntem goldgeprägtem „ecritoire“ und zwei herausziehbaren zweiflammigen Kerzenleuchtern, davor zwei Lichtschirmaquarelle auf Pergament mit Seidenumspannung von Balthasar Wigand
- Maße
- 100×72×48 cm
Komfortables Reisen war im 19. Jahrhundert ein einer kleinen Elite vorbehaltener Luxus und eine Kunst für sich. Die anstrengende Anfahrt in holprigen Kutschen wurde durch meist wochenlange Aufenthalte und ein möglichst erlesenes und bequemes Umfeld wettgemacht. Alles, was man zum Leben benötigte, aber auch vieles darüber hinaus, wurde mitgeführt und sorgte für eine vertraute Umgebung, die keine Wünsche offenließ, auch in der Ferne. Die wenigen erhaltenen Reisemöbel jener Zeit künden vom „savoir-vivre“ des Adels und des gehobenen Bürgertums. Besonders die adlige Oberschicht, welche über mehrere Wohnsitze verfügte, benötigte Mobiliar, das sich leicht von Schloss zu Schloss transportieren ließ. Es wurde zwar auf Funktionalität, Leichtigkeit und zarte Maßstäbe geachtet, aber keinesfalls an der Ausführung oder am Material gespart. Auch hier konsultierte man die besten Ebenisten des Landes und gab gerne personalisierte Stücke in Auftrag. Besonders gefragt waren sogenannte Verwandlungsmöbel, die mehrere Funktionen vereinten. Das vorliegende museale Wiener Reisemöbel lässt sich auf zwei verschiedene Arten aufklappen und ist dadurch sowohl als Sekretär wie auch als Frisiertisch zu verwenden. Der Aufsatz ist in geschlossenem Zustand, wie für Reisesekretäre üblich, truhenförmig, mit kostbarem Mahagoni furniert sowie mit linearen Obstholzintarsien verziert. Der ebenfalls furnierte und politierte geschwungene Unterbau verleiht diesem seltenen Stück eine große Eleganz. Der Frisiertisch, eine sogenannte Poudreuse, weist einen eingelassenen Spiegel auf. Der Sekretär mit goldgeprägtem, lederbespannten „ecritoire“ besitzt eine Vielzahl von Fächern und ein Paar herausziehbarer, zweiflammiger Kerzenleuchter. Davor befinden sich zwei seidenumspannte Lichtschirme mit Szenen russischer Militärerfolge über napoleonische Truppen. Die historisch interessanten und meisterlichen Darstellungen stammen von Hand des berühmten Wiener Miniaturmalers Balthasar Wigand (1770–1846). Auch dies spricht für die ausgesprochen hohe Qualität dieses edlen Salonmöbels, denn Wigand war für die Zusammenarbeit mit den besten Kunsthandwerkern Wiens bekannt, so etwa mit dem renommierten Kunsttischler Benedikt Holl (1753–1833), von dem gleich mehrere Stücke mit Aquarellen Wigands bekannt sind. Holl zählte zu den wenigen Ebenisten, die die ausgeklügelte Mechanik der Verwandlungsmöbel zu konstruieren wussten. In diesem hochwertigen Segment Wiener Handwerkskunst muss auch das vorliegende noble Reisemöbel verortet werden. Es verdeutlicht die hohen Ansprüche des Biedermeier an Qualität und Funktionalität seiner Möbel sowie die alle Bereiche des Lebens durchströmende Kunstsinnigkeit.