*1948 Wien
- Titel
- „Selbstportrait“
- Zeit
- 1986
- signiert
- links unten: "Helnwein", verso originales Künstleretikett mit Bezeichnung und Datierung 1986
- Technik
- Acryl auf Leinwand
- Maße
- 210×150 cm
abgebildet in: G. Helnwein (Hrsg.): Gottfried Helnwein (Kat. Ausst. Mittelrhein-Museum, Koblenz/Galerie Würthle, Wien/Leopold-Hoesch Museum, Düren, 1986-1987), Köln 1986, o.S.
Das Selbstbildnis ist ein bedeutendes Motiv im Schaffen Gottfried Helnweins. Das erstmals 1970 vom Künstler verwendete Bildthema ist kein klassisches Selbstporträit, sondern vielmehr eine szenische Bilddramaturgie, die den Betrachter auf unerwartete Weise fordert. Die performanceartige Selbstinszenierung mit Augenblenden und Bandagen, welche Helnweins Malprozess vorausging, hat ihre Wurzeln vor allem im Wiener Aktionismus, speziell in den Arbeiten von Rudolf Schwarzkogler und Günter Brus.
Dem sehenden Maler, demjenigen der Wahrheiten erkennt und mit künstlerischen Mitteln für seine Umgebung sichtbar macht, wurden die Augen verbunden. Der Betrachter wird dadurch einer Kommunikation mit seinem bildlichen Gegenüber beraubt und umso mehr gedrängt sich in den Dargestellten hineinzuversetzen. So wird die dem Künstler durch die Augenbinde auferlegte Introspektion auch zu der unseren. Der Maler gibt die Fähigkeit des Sehens und somit des Wissens an den Betrachter ab und fordert ihn dadurch zur Verantwortlichkeit auf.
Der Künstler wird zum Märtyrer für die Freiheit der Kunst. Für die Kunst geht er bis an seine Grenzen, ihr opfert er alles und ist dennoch oder gerade deshalb der scharfen Kritik der Gesellschaft ausgesetzt. Augenblicklich fühlt man sich an den doppeldeutigen Sinn der Begriffe Leidenschaft und Passion erinnert. Der weit geöffnete Mund wirkt wie ein Befreiungsschlag, ein – aufgrund der Eigenschaften des Mediums Malerei – stiller Protest, stummer Widerstand, welcher aber visuell umso eindrucksvoller ist.
Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina Wien, betont die Wichtigkeit des Affekts in Gottfried Helnweins Selbstbildnissen: „Die Tradition der extremen Affektdarstellung reicht von der antiken Laokoon-Gruppe herauf über die Wiedergewinnung des individualemotionalen Ausdrucks in der Spätgotik bis zu den expressiven Darstellungen der „Anima dannata“ – der verdammten Seele – bei Gian Lorenzo Bernini. Auf diesem Traditionsstrang liegt auch die bildliche Umsetzung der extremen physischen Anstrengung als Affektauslösendem Faktor. […] Dennoch kann die Selbständigkeit von Helnweins Bildmetapher kaum genug betont werden: das Besondere, sich selbst schreiend darzustellen.“1
Gottfried Helnwein, Jahrgang 1948, studierte an „der Graphischen“ Wien (1965-1969) und an der Akademie der bildenden Künste bei Rudolf Hausner (1969-73). Heute lebt und arbeitet Helnwein in Irland und Los Angeles und gilt als einer der international erfolgreichsten österreichstämmigen Künstler der Gegenwart.
1 Klaus Albrecht Schröder: Das Vordergründige ist das Abgründige, Wien 1987.